Die Reise ans Meer

5 Wochen.

So lange ist es schon her, seit ich in Sendai angekommen bin. 35 Tage und es kommt mir trotzdem vor, als wäre es erst gestern gewesen. Die Zeit hier scheint in einem völlig anderen Tempo zu laufen; ich kann kaum fassen, wie schnell der erste Monat vorbeigerast ist. Es ist wirklich enorm viel passiert in diesen paar Wochen und ich habe schon einige unvergessliche Erinnerungen gesammelt.

Die schönsten Erlebnisse sind für mich immer die Ausflüge mit meiner Gastfamilie. Meine Gasteltern sind meistens ziemlich beschäftigt, deshalb schätze ich es umso mehr, wenn wir zusammen etwas unternehmen können. Letzten Samstag zum Beispiel bin ich gemeinsam mit meinem Otousan (= jap. für Vater) ans Meer gefahren. Ich hatte ein paar Tage davor den Wunsch geäussert, dass ich gerne mal das Meer sehen würde, weil das ja von Sendai nur wenige Autominuten entfernt ist. Eigentlich erwartete ich nur einen kleinen Abstecher an einen Strand, eine oder zwei Stunden vielleicht. Deshalb ahnte ich nicht, was für ein Programm Otousan auf die Beine gestellt hatte, als ich am Samstagmorgen ins Auto stieg.

Der erste Halt war der Hafen von Sendai. Dort betrachteten wir die grossen Fähren, die jeden Tag von Hokkaido der Küste Japans entlang weiter Richtung Süden fahren. Das rief natürlich sofort alte Erinnerungen von einer verrückten Reise nach Island in mir hoch – aber das ist wieder eine andere Geschichte. ;)

Nach dieser kurzen Besichtigungstour fuhren wir weiter dem Meer entlang. Die Landschaft wurde nun allmählich grüner und ländlicher, als wir Sendai langsam hinter uns liessen. Auf einem kleinen Kiesparkplatz mitten im Nirgendwo hielt Otousan schliesslich an. Ich fragte mich schon, was wir hier denn tun wollten, als er mich anwies, die grossen Steintreppen neben dem Parkplatz hochzusteigen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das für ein überwältigendes Gefühl war, am Ende dieser Treppe zu stehen. Nun konnte ich endlich erkennen, was dieser Steindamm geschickt verborgen hatten: Ein kilometerlanger Sandstrand und dahinter das tiefblaue Meer.

Otousan meinte, dass es schade sei, dass das Wetter nicht besser sei. Mich störte das herzlichst wenig. Ich genoss es einfach, dem Strand entlang zu laufen, zu spüren, wie sich meine Schuhe allmählich mit Sand füllten und dem Rauschen der Wellen zuzuhören.

Dann entdeckte ich einen Straus Blumen im Sand. Als ich Otousan darauf ansprach, erklärte er mir, dass die Leute hier oft Blumen niederlegen würden – als Erinnerung für all die Menschen, die durch den Tsunami im Jahr 2011 gestorben waren. Das stimmte mich etwas nachdenklich. Das Meer ist wohl ebenso schön wie gefährlich, schätze ich...

Nach einem kurzen Innehalten setzten wir unsere Reise fort. Den nächsten Halt machten wir auf einem kleinen Hügel, von dem aus wir einem kleinen Weg entlang gingen. Als sich der Wald lichtete, konnte ich in der Ferne wieder das Meer entdecken – übersät mit unzähligen kleinen Inseln. Diese Gegend gehöre zu den schönsten Landschaften Japans, erzählte Otousan mir und es war wirklich nicht schwer zu erkennen warum.

Etwas weiter stiess ich dann auf den ersten traditionellen Tempel, den ich in Japan sehen durfte. Versteckt zwischen den Bäumen, irgendwo mitten im Wald, kam es mir vor, als wäre er direkt aus einem Märchenbuch entsprungen. Auch hier konnte ich dem Drang, all das bildlich festzuhalten, nicht widerstehen – genauso wie Otousan. Das Klischee, dass Japaner alles fotografieren, was ihnen vor die Linse kommt, hat sich inzwischen bestätigt. :)

Nach dem Mittagessen ging es weiter der Küste entlang bis zu einem kleinen Dorf, das bei Touristen ziemlich beliebt zu sein schien. Auch hier besuchten wir wieder einen Tempel, dieses Mal jedoch einen etwas moderneren. An einer Hauswand war eine Art grosse Glocke befestigt. Wenn man diese läutet, gibt sie einen dumpfen Klang von sich. Anschliessend muss man die beiden Handflächen aufeinander legen und die Augen schliessen, um kurz zu beten. Wofür und zu wem man betet, habe ich zwar nicht herausgefunden, aber beeindruckend war es für mich auf jeden Fall.

Zum Abschluss wollte mir Otousan noch eine Spezialität dieses Dorfes zeigen: Muscheln. Nicht zum Ansehen, nein, sondern zum Essen. Ich zögerte erst etwas, liess mich dann aber auf diese kulinarische Erfahrung ein. Am Stand, an dem die Muscheln verkauft wurden, mussten wir erst eine ganze Weile warten, bis wir mit Essen loslegen konnten. Das verschaffte mir nicht nur Zeit, mich psychisch darauf einzustellen ;) sondern gab mir auch die Gelegenheit, den „Muschelhändlern“ etwas beim Arbeiten zuzusehen. Ehrlich bezweifle ich, dass diese in der Schweiz den Hygieneanforderungen entsprochen hätten, aber interessant war es so oder so. Als die Muscheln dann endlich auf unseren Tellern lagen, war ich überrascht, wie klein der Bereich war, den man überhaupt essen kann. Zum Geschmack kann ich nicht viel sagen, weil die Sojasauce wohl das meiste davon übertönt hat. Aber ich glaube, ich würde auch beim nächsten Mal nicht Nein sagen. ;)

Auf der Rückfahrt war ich so erschöpft, dass ich die Reis- und Bohnenfelder, an denen wir vorbeifuhren, gar nicht mehr so spektakulär fand. Zurück Zuhause war ich zwar – wie immer – hundemüde (jeder Austauschschüler weiss, wovon ich rede...), aber dennoch glücklich über all die neuen Eindrücke, die ich gesammelt hatte und über eine weitere, tolle Erinnerung an meine Zeit in Japan.

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Kommentare: 1
  • #1

    Mam und Pa (Sonntag, 29 September 2013 19:36)

    Wir waren heute auch am Meer, aber leider war das Wetter nicht gut. Schöne Geschichte von Dir mit dem Ausflug ans Meer. Liebe Grüsse aus Kroatien nach Japan.