10 Dinge, die mich überraschten, als ich nach Japan kam

Letztens fragte mich ein Freund, was mich denn am meisten überrascht habe, als ich nach Japan kam. Ich blickte ihn an und wusste im ersten Moment überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Nicht, dass mich nichts überrascht hat hier in Japan – vielmehr das Gegenteil ist der Fall: Es gibt so viele Dinge, die mich überrascht haben und täglich wieder aufs Neue überraschen – ja manchmal sogar erschrecken oder verwirren – sodass ich mich nicht auf nur eine Sache festlegen kann. Deshalb habe ich nun eine Liste zusammengestellt mit 10 Dingen, die mich hier in Japan überrascht haben:

  1. Die Hitze

    Das war einer der ersten Schocks für mich, als ich in Japan ankam: Diese unglaubliche Hitze. Natürlich wusste ich im Voraus, dass es dort heisser sein würde als in der Schweiz. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass es nicht nur heiss sondern auch extrem schwül sein würde. Schwül, das heisst: Die Luft ist nass und stickig, man schwitzt von einer Sekunde auf die andere am ganzen Körper und hat das Gefühl nicht mehr richtig durchatmen zu können. Nicht wirklich angenehm, aber zum Glück bin ich im Norden Japans gelandet; hier ist das Ganze eigentlich recht gut erträglich.

  2. Die Geräusche

    Seid ihr schon jemals in einem dieser Tropenhäuser gewesen, in denen man riesige Schmetterlinge oder exotische Pflanzen beobachten kann? Wenn ja, dann könnt ihr euch in etwa vorstellen wie es sich anhört, in Tokio durch einen Park zu schlendern. Mir kam es tatsächlich vor, als befinde ich mich im Urwald, als wir in Tokio vor der Unterkunft des Orientation Camps aus den Bussen stiegen; hunderte von Geräuschen, die ich bei besten Willen keinem mir bekannten Tier zuordnen konnte. Ehrlich gesagt war das im ersten Augenblick ziemlich verwirrend– und trotzdem wunderschön zugleich. Für mich war das der Moment, in dem mir zum ersten Mal richtig klar wurde, dass ich mich wirklich am andern Ende der Welt befinde. Wer sich das mal anhören will, der klickt HIER.

  3. Das Schlafen auf einem Futon

    Wer meinen Blog bis jetzt ein bisschen verfolgt hat, der weiss inzwischen, dass ich hier in Japan nicht mehr in einem Bett sondern auf einem Futon schlafe. Was mich daran eigentlich überraschte war nicht der Futon selbst – ich hatte ja im Voraus bereits gewusst, dass manche Japaner keine Betten besitzen – sondern die Rückenschmerzen, die mich nach den ersten paar Nächten auf dem Futon quälten. Inzwischen ist das aber auch kein Problem mehr; ich habe mich nun schon so daran gewöhnt, dass ich mich wirklich frage, wie ich jemals ein Bett einem Futon vorziehen konnte... ;)

  4. Das Essen

    Ich liebe das japanische Essen!!!

    Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass mir je etwas mehr schmecken würde als Mami's selbstgemachter Ofenguck ;) – aber jetzt kann ich mir ein Leben ohne Taiyaki, Anko und Yakisoba nicht mehr vorstellen. Es hat mich wirklich überrascht, dass mir das Essen hier so gut schmeckt, obwohl es wirklich völlig anders ist als in Europa. Na ja, wenigstens weiss ich jetzt schon, was ich bestimmt vermissen werde, wenn ich wieder zurück in der Schweiz bin...

  5. Die Schule & die Lehrer

    Die japanische Schule ist anders – in einer Art, mit der ich nicht gerechnet hätte. Der Unterricht läuft nur frontal ab und ist dementsprechend zäh. Da kann man es halbwegs verstehen, dass die meisten in der Klasse während den Lektionen schlafen. Was mich daran überraschte war die Tatsache, dass es die Lehrer überhaupt nicht zu stören scheint, wenn ihre Schüler schlafen; das scheint hier das Normalste der Welt zu sein. Überhaupt können Japaner überall und in jeder Position (auch im Stehen) in sekundenschnelle einschlafen – eine Fähigkeit, um die ich sie wirklich beneide...

    Etwas merkwürdig an der Schule war für mich auch die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern. Diese gelten hier weniger als Höherstehende, sondern vielmehr als Vertrauenspersonen, zu denen die Schüler mit jeden möglichen (auch privaten) Problemen kommen können. Schüler und Lehrer pflegen eine sehr freundschaftliche Beziehung untereinander, die man in der Schweiz wohl fast als „respektslos“ abstempeln würde.

  6. Dieses Tier

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    Als ich eines Tages auf dem Weg nach Hause war, ist mir ein ähnlich grosses Exemplar einer Gottesanbeterin über den Weg gelaufen. Keine sehr angenehme Begegnung, aber wenigstens konnte ich mir das Schreien verkneifen...

  7. Das Abwaschen

    Ja, selbst das Abwaschen läuft hier in Japan etwas anders ab. Statt das Spülbecken mit heissem Wasser und Abwaschmittel zu füllen und darin das Geschirr abzuwaschen, benutzt man hier einfach eine grosse Schüssel mit kaltem Wasser. Da wirft man dann das ganze schmutzige Geschirr erst einmal hinein. Anschliessend wird der Schwamm mit Wasser feucht gemacht und etwas Abwaschmittel darauf getröpfelt. Nun wird das „eingeweichte“ Geschirr – Teller für Teller – aus der Schüssel genommen und mit dem Schwamm gut eingeschäumt. Ist man damit fertig, spült man das Geschirr rasch nochmals unter dem Wasserhahn ab und legt es dann zum Trocknen hin. Die Abwaschmaschine wird hier aus Spargründen eher selten eingesetzt, was für mich vor allem am Anfang eine ziemliche Umstellung war.

  8. Die Busse

    Bevor ich hierher kam, habe ich irgendwo mal gelesen, dass Japan das zuverlässigste Verkehrssystem der ganzen Welt besitzen solle. Schön und gut, aber leider sieht die Realität etwas anders aus. Ich kann nicht beurteilen, wie es mit den Zügen aussieht, da ich diese nie benutze – aber die Büsse sind hier – oder wenigstens in Sendai – ausnahmslos immer zu spät. Ihr könnt euch ja vorstellen wie ich als verwöhnte Schweizerin erschrocken war, als der Bus an meinem ersten Schultag ganze 10 Minuten zu spät kam. Inzwischen habe ich begriffen, dass das hier die Norm ist. Weil die Busse ständig überfüllt sind und es in japanischen Bussen nur einen einzigen Ausgang gibt, dauert es meistens seine Zeit, bis endlich alle Passagiere an der richtigen Haltestelle ausgestiegen sind. Dementsprechend hat man als Buschauffeur so gut wie keine Chance, jemals pünktlich am Ziel anzukommen. Zum Glück fahren die Busse wenigstens regelmässig...

  9. Der japanische Fleiss

    Er existiert wirklich, der berühmt-berüchtigte japanische Fleiss, und zwar in Ausmassen, die ich mir nie hätte vorstellen können. Letzte Woche hatte meine Gastschwester Prüfungswoche: Ende Semester haben die Schüler hier in allen Fächern abschliessende Tests. Diese sind für die Schüler unglaublich wichtig, entscheiden sie doch schlussendlich darüber, welche Universität man besuchen darf (oder eben nicht). Nicht verwunderlich also, dass meine Gastschwester bereits Wochen zuvor mit Lernen begonnen hat. Lernen, das heisst für die Japaner: Alles geben! Meine Schwester sass in dieser Zeit jeden Tag nach der Schule 3 Stunden lang in der öffentlichen Bibliothek, wo sie für die Prüfungen lernte. Zuhause ging das Ganze dann nach einer kurzen Pause vor dem Abendessen genau gleich weiter, meistens bis um zwei Uhr morgens, öfters auch später. Mit Energydrinks wurde gegen die immer stärker werdende Müdigkeit angekämpft; in der Prüfungswoche wurde dann so gut wie gar nicht geschlafen. Ihr könnt euch ja vorstellen, wie erschlagen meine Schwester war, als all die Strapazen endlich vorüber waren. Als ich am Freitagnachmittag schliesslich von der Schule zurückkehrte, war sie bereits im Bett – und schlief durch bis am frühen Samstagmorgen. Ich muss zugeben, dass mich dieser Fleiss – oder wohl eher: Wahnsinn – nicht nur überrascht, sondern auch etwas schockiert hat. Ist soviel Anstrengung überhaupt noch gesund?

  10. Das Gefühlschaos am Anfang

    Das hat jetzt nichts mit Japan direkt zu tun, hat mich aber bei meiner Ankunft hier trotzdem ziemlich überrascht. Man sagt ja immer, dass ein Austauschjahr eine Achterbahnfahrt der Gefühle sei – und ich kann das bereits jetzt bestätigen. Vor allem der Anfang, die ersten beiden Tagen, waren für mich ein unglaubliches Auf und Ab der Gefühle; so intensiv, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Es gab Momente im Orientation Camp, in denen ich die ganze Welt hätte umarmen können, weil ich so glücklich war; und dann gab es wieder Augenblicke, in denen mich all diese neuen Eindrücke völlig zu überfordern schienen und ich mich am liebsten in eine Ecke zum Weinen verkrochen hätte. Mit diesen Gefühlen und diesem Überfordertsein war ich übrigens nicht alleine: Während des Camps in Tokio sind einige Tränen geflossen. Zum Glück war dieser Zustand aber nur vorübergehend so intensiv, danach ging es – für mich jedenfalls – nur noch steil bergaufwärts. ;)

Es gäbe noch viele Dinge, die ich hier aufzählen könnte, aber das sind so die Wichtigsten. Langsam wird es hier in Japan herbstlich und ich habe schon einige Tage frierend in meiner Schuluniform verbringen können. Im Moment lebe ich einfach meinen Alltag hier, mit all seinen Höhen und Tiefen. Heimweh hatte ich bis jetzt noch nie wirklich, aber das habe ich wahrscheinlich auch meiner supertollen Gastfamilie zu verdanken. :)

Mit meinen Japanischkenntnissen geht es nun endlich vorwärts: Inzwischen kann ich mich recht gut verständigen und meiner Gastmutter schon problemlos von meinem Schultag erzählen. Verstehen tue ich auch schon viel mehr als am Anfang, auch wenn mir meine Klassenkameraden in der Schule immer noch viel zu schnell reden. Doch zum Lernen habe ich ja noch mehr als genug Zeit...

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Kommentare: 1
  • #1

    helen (Sonntag, 06 Oktober 2013 18:10)

    Hey evelyne! Lese deine berichte immer sehr gerne und freue mich jede woche auf den nächsten. Finde es toll mit welcher ruhe und gelassenheit du dieses abenteuer auf dich wirken lässt. Feste umarmung und weiterhin eine gute zeit! Kuss helen