Als Ausländer in Japan

Ihr könnt euch ja bestimmt vorstellen, dass ich mir manchmal als einzige Vertreterin meines Landes in einer japanischen Grossstadt ziemlich seltsam vorkomme. Angefangen bei meiner Haar- und Augenfarbe bis hin zu der Art wie ich eine Strasse überqueren fällt an mir so ziemlich alles auf, was einem an einem Menschen überhaupt auffallen kann. Ich bin quasi eine Art bunt-leuchtendes Neonschild mit der Aufschrift „Seht her, ich bin Ausländerin!“ inmitten all dieser schwarzhaarigen, japanischsprechenden Menschen – und meistens weiss ich selbst nicht so recht, wie ich damit umgehen soll.

Auf der einen Seite finde ich das Ganze ziemlich amüsant. Die entsetzten Blicke auf der Strasse, wenn ich mich mit meiner japanischen Schuluniform auf den Weg zur Bushaltestelle mache, all die Bilder mit meinen Freunden, auf denen ich heraussteche wie ein Flamigo in einem Schwarz-Weiss Film oder auch nur das Staunen der Verkäufer in einem Laden, wenn ich mit ihnen in Japanisch zu sprechen beginne – all das sind Momente, in denen es mir schwer fällt das Lachen zu verkneifen. Allerdings gibt es auch Momente, in denen ich mir manchmal einfach wünsche „normal“ zu sein (oder zumindest weniger auffällig). Ich mag es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn manche Leute mit mir in Englisch sprechen, obwohl ich ihnen bereits erklärt habe, dass ich auch Japanisch verstehe. Manche Leuten fürchten sich sogar vor mir, weil ich eben so anders bin, und halten sich dann so zurück, dass ich mit ihnen kein richtiges Gespräch beginnen kann. Die Tatsache, dass ich immer und überall auffalle, war vielleicht anfangs noch ganz lustig, ist jetzt aber eher ermüdend und anstregend.

Es hat jedoch auch seine Vorteile ein Gaijin (= Ausländer) in Japan zu sein. Niemand erwartet von dir, alles richtig zu machen, die ganzen japanischen Höflichkeitsfloskel zu kennen oder dich richtig verbeugen zu können. Natürlich versuche ich es trotzdem, aber wenn ich dann mal einen Fehler mache, dann lachen alle höchstens nur darüber. Ich kann mir Dinge erlauben, die für Japaner ein völliges Tabu wäre – einfach, weil ich es eben nicht besser weiss. Umso mehr freuen sich die Leute dann, wenn ich einmal tatsächlich die richtige Art der Vebeugung hingekriegt habe oder zur Ausnahme mal nicht von einem Fettnäpfchen ins andere trete. ;)

Allgemein sind die Japaner sehr freundlich zu dir, wenn sie erkennen, dass du ein Ausländer bist (was ja nun wirklich nicht schwer ist...) und versuchen dir bei allem Möglichen zu helfen. Es gibt auch solche, die sich nicht vor mir fürchten, sondern sich wegen meines Ausländerstatus sehr für mich interessieren und mich mit Fragen über Europa und die Schweiz auspressen. Letztens wartete ich zum Beispiel an der Bushaltestelle, als sich plötzlich eine ältere Frau zu mir gesellte. Sie sprach mich an, fragte mich woher ich komme und was ich hier in Japan machen würde. Auch wenn sie kein Wort Englisch sprach, verstanden wir uns gut, und ich erzählte ihr von meinem Abenteuer hier. Schliesslich bedankte sie sich bei mir und verabschiedete sich. Als sie die Strasse weiter entlang ging, begriff ich erst, dass sie keineswegs auch auf den Bus gewartet hatte, sondern lediglich stehen geblieben war, um mit mir zu sprechen.

Eine ähnliche Situation erlebte ich vor ein paar Wochen, als ich wiedermal nach der Schule in die Bäckerei gegangen war, um dort mein „z'Abig“ zu kaufen. Das ist eine Art Ritual, das ich entwickelt habe, um mir die Zeit, bis der Bus endlich ankommt, irgendwie sinnvoll zu vertreiben. Japanisches Brot kann man natürlich nicht mit Schweizer-Brot vergleichen, aber das ist wieder eine andere Geschichte... Auf jeden Fall stand ich an der Kasse und bezahlte mein Vanille-Törtchen, als die Verkäuferin auf einmal mit mir zu reden begann. „Hast du dich gut eingewöhnt?“, fragte sie und nachdem ich die erste Überrraschtheit überwunden hatte, antwortete ich mit einem schnellen Kopfnicken. Seitdem spricht sie fast jedes Mal mit mir, wenn ich wieder in die Bäckerei zurückkehre – und sei es auch nur, wie schlecht das Wetter heute wieder sei.

In genau demselben Laden habe ich vor einiger Zeit auch eine andere Ausländerin getroffen. Es war seltsam, aber als ich sie da stehen sah – braune Haare, grüne Augen – konnte ich gar nicht anders, als sie einfach anzustarren. Ich hatte schon so lange keine Nicht-Japaner mehr gesehen, dass es sich für mich völlig verrückt anfühlte, auf andere Gaijin zu stossen. :)

Inzwischen habe ich mich mehr oder weniger an meinen Ausländerstatus gewöhnt und begriffen, dass ich den wohl nie so ganz wegbekommen werde – jedenfalls, was mein Äusseres betrifft. Was das Japanisch angeht, so fühle ich mich jetzt schon ziemlich sicher darin. Natürlich kann ich noch nicht alles ausdrücken, was ich gerne sagen würde, aber ich habe vor ein paar Tagen begonnen in Japanisch zu träumen, was ja bestimmt ein gutes Zeichen ist. Ausserdem bemerke ich nun, wie ich langsam immer schlechter Deutsch zu sprechen beginne – mir entfallen manchmal ganze Wörter, die ich dann entweder nur in Japanisch oder Englisch weiss. Wenn das so weitergeht, werde ich wohl kein Deutsch mehr sprechen können, wenn ich wieder zurückkomme... ;)

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    aschwanden (Sonntag, 27 Oktober 2013 12:52)

    Das wollen wir jetzt aber mal nicht wirklich hoffen
    ich glaube,solange du noch deutsch schreibst, ist es nicht so schlimm

    griässli dini mam

  • #2

    Sabine (Mittwoch, 30 Oktober 2013 15:02)

    Hallo Evelyne, ich habe in der Japanischen Times gelesen, dass Ausländerinnen in Japan nicht sicher seien. Weißt du etwas darüber? Stimmt das?
    Viele Grüße aus good old Germany

  • #3

    evelynegoestojapan (Mittwoch, 30 Oktober 2013 23:37)

    Hallo Sabine,
    Ich persönlich kann das nicht bestätigen. Bis jetzt habe ich mich in Japan noch nie nicht sicher gefühlt, auch wenn ich natürlich (wie oben beschrieben) überall auffalle. Wie es andern Austauschschülerinnen damit geht, weiss ich leider nicht so genau. Ich denke jedoch nicht, dass man als Ausländerin in Japan nicht sicher ist - jedenfalls nicht, nach den Erfahrungen, die ich bisher damit gemacht habe. ;)
    Liebe Grüsse,
    Evelyne

  • #4

    Mario (Donnerstag, 29 Januar 2015 01:08)

    Moinchen,
    Es war sehr interessant deinen Blog zu lesen. Gefällt mir auf jeden Fall, dass du andere an deinen Erfahrungen teilhaben lässt. Dein Schreibstil ist übrigens auch verständlich, klar und strukturiert gehalten. Mein Lob dafür :)

    mfg
    Mario