Meine Erwartungen - und was aus ihnen geworden ist

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich den ersten Blogeintrag auf dieser Homepage veröffentlichte, damals, als mir mein Abenteuer erst noch bevorstand. Ich war voller Vorfreude damals; aufgeregt und gespannt auf diese vielen neuen Dinge, die mich in ein paar Monaten erwarten würden. Es fühlt sich seltsam an jetzt daran zurückzudenken und plötzlich zu realisieren, dass all das tatsächlich schon beinahe ein halbes Jahr her ist. Wahnsinnig, wie viel sich seitdem verändert hat; wie ich mich verändert habe. All die Träume, die ich damals hatte, die Erwartungen und Hoffnungen, aber auch die ganzen Ängste und Sorgen: All das hat sich verändert. Manches hat sich bestätigt, manches auch nicht; manches ist gleich geblieben und manches hat sich verändert. Zusammengefasst kann man sagen, dass mein Austauschjahr bisher in eine völlig andere Richtung verlaufen ist, als ich im Voraus erwartet hätte. Nicht besser oder schlechter – einfach anders eben.

Ein Austauschjahr ist etwas, das man sich nicht vorstellen kann. Natürlich malt man sich die Monate zuvor genaustens aus, wie sein neues Leben verlaufen wird, was man alles erleben wird; all die neuen Menschen, die man treffen wird, all die tollen Dinge, die man erleben wird, die ganzen berühmten Orte, zu denen man reisen wird. Doch schlussendlich ist es unmöglich zu wissen, was passieren wird – auch wenn man sich dabei noch so sicher zu sein scheint. Das macht eben ein Austauschjahr aus: Es ist völlig unvorhersehbar und es ist einzigartig. Jeder Austauschschüler hat seine eigene Geschichte; seine eigenen Probleme, seine eigenen unvergesslich schönen Momente, seine Erfahrungen. Und genauso haben auch alle Austauschschüler ihre Erwartungen an das bevorstehende Jahr. Manche wünschen sich eine zweite Familie zu finden, manche wollen eine neue Sprache beherrschen und wieder andere möchten sich einfach am andern Ende der Welt ein neues Leben aufbauen können.

Ich bin nun beinahe 3 Monate in Japan und ehrlich gesagt haben sich die wenigsten meiner Erwartungen wirklich bestätigt – doch das ist gut so. Es bringt einen zurück auf den Boden der Realität, wodurch es – auch wenn es anfangs vielleicht schmerzhaft ist – erst möglich wird, das Jahr richtig geniessen zu können. Was wäre schliesslich so ein Austausch, wenn alles immer nach Plan verlaufen würde?
Was mich betrifft, so musste ich inzwischen bereits einige meiner Erwartungen anpassen. Zum Beispiel habe ich vor dem Beginn meines Jahres tatsächlich geglaubt, dass ich mich nach einem Monat schon problemlos auf Japanisch unterhalten können würde. Klar hatte ich mich darauf eingestellt viel dafür arbeiten zu müssen – aber die ganzen Geschichten von Austauschschülern, die ihre Sprache in wenigen Wochen bereits beherrschten, motivierten mich sosehr, dass ich in meiner Naivität die Realität völlig aus den Augen verlor. Was dann in meinen ersten Wochen in Japan passierte ist natürlich offensichtlich: Ich war völlig frustriert über meinen Sprachfortschritt, der sich trotz all meinen Bemühungen kaum vorwärts zu bewegen schien. Die Tatsache, dass ich nicht einmal in der Lage war, mit meiner Gastfamilie bei einfachen Gesprächen am Esstisch mitreden zu können, gab mir das Gefühl, dass ich niemals Japanisch lernen würde. Ich stand die ganze Zeit über unter dem Druck, den ich mir selbst aufgesetzt hatte, und schien trotzdem auf der Stelle zu treten. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass es wahrscheinlich genau dieser Druck war, der mich blockierte – und ich begann die Sache plötzlich viel lockerer zu sehen. Ich begann darüber nachzudenken, wie ich früher andere Fremdsprachen gelernt hatte und kam schlussendlich zu der Erkenntnis, dass das auch nicht von heute auf morgen geschehen war. Es hat mich viele Abende gekostet, die ich mit Vokabelnlernen und Grammatikbüffeln verbringen musste, bis ich irgendwann in der Lage gewesen war, Englisch verstehen zu können – und genauso wird es wahrscheinlich auch mit dem Japanisch sein. Es braucht Geduld und Ausdauer, aber irgendwann werde ich es schon sprechen können. Und das Beste daran ist: Seit ich mich nicht mehr so auf das Sprachenlernen fixiere, geht es mit dem Japanisch plötzlich viel besser als zuvor. :)

Doch Erwartungen, die sich nicht bestätigen, müssen nicht immer frustrierend sein: Für mich war es beispielsweise einer der schönsten Glücksmomente in Japan, als meine Gastfamilie mir sagte, dass ich das ganze Jahr lang bei ihnen bleiben dürfe – und nicht wie erwartet nur einen Monat. Da war ich ausnahmsweise sogar richtig froh darüber, dass sich meine Erwartung nicht bestätigt hatte...

Inzwischen habe ich – oder glaube ich zumindest – meine Erwartungen ziemlich gut anpassen können und bin nun vollständig in meinem neuen Leben angekommen. Es ist schon seltsam, wie nun alles, was sich am Anfang merkwürdig angefühlt hat, plötzlich ganz normal geworden ist. Ich bin nicht mehr ständig müde, kann mich endlich mit meiner Gastmutter unterhalten und träume fast nur noch in Japanisch. Selbst in der Schule kann ich nun in einigen Fächern mitmachen: Am Mittwoch habe ich meinen ersten Englisch-Test in Japan geschrieben. Zugegeben: Das japanische Englisch ist wohl für europäische Verhältnisse keine grosse Herausforderung. Aber dass ich beinahe Klassenbeste geworden bin, darauf bin ich schon etwas stolz. Auch wenn es nicht meinen Erwartungen entsprach. ;)

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