Winter in Sendai

Mit dem Winter hier in Sendai ist das so eine Sache. Ich selbst bin mir ja Kälte, Eis und den morgendlichen Kampf durch den hüfthohen Schnee zur Bushaltestelle gewöhnt. Zugegeben: Ein wirklicher Fan des Winter bin ich nicht. Ich liebe es zwar, wenn unser Haus an Weihnachten so richtig eingeschneit ist und wir mit heissem Punch und Kaffee im Innern sitzen und den Schneeflocken beim Fallen zusehen oder ich mit Freunden auf waghalsige Schlittenfahrten gehen kann – aber ständig tiefgefrorene Finger, nasse Jeans und blaue Flecken vom Ausrutschen auf dem Eis machen es mir manchmal wirklich schwer, den Winter zu mögen. Und trotzdem: Ohne Schneeballschlachten und Busse, die fast jedes Jahr beim ersten Schnee wieder auf der Strasse feststecken, wäre es auch irgendwie langweilig. Genauso wie ein verregneter Herbst, ein kurzer Frühling oder ein glühend heisser Sommer gehört der Winter eben einfach dazu.

So richtig bewusst wurde mir das erst im letzten Monat, als ich auf facebook all die Einträge meiner Freunde lesen konnte, welche sich bereits über den ersten Schnee freuten. Ich wusste ja im Voraus bereits, dass es Sendai lange nicht so kalt sein würde wie in meinem Heimatdorf – doch eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass es doch spätestens bis im Dezember ein bisschen Schnee haben würde; oder wenigstens kalt genug werden würde, um Schnee überhaupt zu ermöglichen.

Tja, die Wahrheit ist: Es ist jetzt anfangs Dezember und die Temperaturen bewegen sich immer noch zwischen 9 und 13 Grad. Mit Schnee will ich hier erst gar nicht anfangen, denn so wie es im Moment aussieht, werde ich wohl dieses Jahr kein weisses Weihnachten erleben... Auch eine Erfahrung, die ich zum ersten Mal in meinem Leben mach – aber wirklich tragisch finde ich das eigentlich nicht. In Japan wird Weihnachten sowieso so gut wie gar nicht gefeiert. Während in der Schweiz nun die ersten Adventskerzen angezündet, fleissig Guetzli gebacken und Punch getrunken wird, verläuft der Dezember für mich wie jeder andere Monat in Japan; mit dem kleinen Unterschied, dass ich nun Leggins unter meiner Schuluniform tragen muss. In wirklicher Weihnachtsstimmung bin ich nicht und mal abgesehen von der ganzen Werbung überall gibt es fast nichts, das mich daran erinnert, dass es eigentlich schon bald Heilig Abend ist. Dazu kommt noch, dass Weihnachten hier in Japan nicht als das Fest der Familie sondern das Fest der Verliebten angesehen wird und deshalb eine völlig andere Bedeutung hat als in Europa oder Amerika. So wie es im Moment aussieht, werde ich den 24. auch nicht mit meiner Gastfamilie sondern mit meinen Freunden verbringen, was sich für mich zwar etwas seltsam anfühlt, hier aber völlig normal ist.

Auch wenn Weihnachten in Japan nicht gefeiert wird, hat die Vorweihnachtszeit in Sendai doch etwas ganz Besonderes an sich. An erster Stelle ist sie natürlich unglaublich kitschig, denn Japaner (und vor allem Japanerinnen) stehen auf knallbunte Beleuchtung, völlig überladene Weihnachtsbäume und Lautsprecher mit Weihnachtsmusik an jeder Strassenecke.

Einzigartig hier in Sendai ist wohl der 光のペ－ジェント(Hikari no Pageant), eine ganze Strasse, die mit leuchtenden Bäumen geschmückt ist. Gestern ging es gemeinsam mit meiner Austauschorganisation und ein paar Freunden nach einem gemütlichen Abendessen dorthin und obwohl es (zum ersten Mal seit langem...) ziemlich kalt war, hat mich dieser Pageant doch endlich in etwas versetzt, das man vorweihnachtliche Stimmung nennen kann.

Ab dem 21. haben wir dann auch endlich Schulferien – die ersten übrigens seit ich in Japan angekommen bin – und warhscheinlich werde ich dann mit meiner Gastfamilie wohl für ein paar Tage in die Aomori-Präfektur verreisen, um meine Gastgrosseltern zu besuchen. Ausserdem will mein Gastvater mit mir zusammen Skifahren gehen und in der Schule stehen auch schon ein paar Schneeballschlachten auf dem Plan – sollte es denn tatsächlich irgendwann noch Schnee geben. ;)