Von Bambusschwertern, Schuklubs und Entscheidungsproblemen

Wer meine vorherigen Einträge gelesen hat, der weiss vielleicht, dass ich bis jetzt noch keinem Bukatsu angehörte. Bukatsu, das sind die japanischen Schulklubs, die hier quasi als Ausgleich zum Alltag zwischen Unterricht und Prüfungen angeboten werden. Für die Schüler sind sie aber nicht nur eine Chance, sich mal eine Auszeit vom Lernen zu nehmen, sondern vor allem ein sozialer Treffpunkt, wo man mit Gleichgesinnten Spass haben kann und zum Teil sehr enge Freundschaften entstehen. Weil viele japanische Schüler in ihrer Freizeit lernen müssen, ist der Bukatsu oftmals die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas mit Freunden unternehmen zu können.

Ich muss zugeben, dass ich mich das ganze Klubleben am Anfang ein wenig überforderte. Nicht, weil ich das System dahinter nicht verstanden hätte, sondern viel eher, weil es mir enorm schwer fiel, mich bei der riesigen Auswahl an Clubs für einen zu entscheiden (wer mich kennt, der weiss ja, wovon ich rede...). Zwar gehörte ich schon seit meiner Ankunft hier dem "International Club" an (quasi Pflichtprogramm für Austauschschüler), aber dieser war erst gerade gegründet worden und fand deshalb vor allem anfangs nur sehr sporadisch statt. In den ersten Monaten besuchte ich also fast jede Woche einen anderen Klub; von Sadou (japanische Teezeremonie) bis hin zum Rock Club war so ziemlich alles dabei, was man sich vorstellen konnte. Als ich mich jedoch im Dezember immer noch nicht für einen Club entschieden hatte, war meine Gastmutter plötzlich der Meinung, ich solle die Sache doch endlich durchziehen. Bukatsus, so erklärte sie es mir, wären ja schliesslich auch Teil der japanischen Kultur und wenn ich den einfach auslassen würde, obwohl ich hier in Japan die Chance dazu zum Ausprobieren hätte, wäre das ja nichts als Zeitverschwendung. Ich habe grossen Respekt vor meiner Gastmutter und bewundere sie dafür wie gut sie es schafft, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen – also machten mir ihre Worte auch dementsprechend Eindruck. Nachdem mir also endlich jemand den dringend benötigten Tritt in den Hintern ;) verabreicht hatte, nahm ich mir fest vor, meine Entscheidung in den nächsten paar Tagen zu fällen.

Nach langem Hin und Her fiel meine Wahl schliesslich auf den Kendo-Club; einerseits, weil Kendo ebenfalls zur japanischen Kultur dazu gehört und andererseits, weil ich schon immer einmal Kampfsport hatte ausprobieren wollen. Das Training war auch nicht jeden Tag, das heisst, ich würde trotzdem noch genügend Zeit haben, um mich nebenbei um den "International Club" zu kümmern.

Die ersten paar Male im Training durfte ich nur am Rande sitzen und den andern Mitgliedern beim Üben zusehen. Später erklärte sich dann meine Kendolehrerin - die auch gleichzeitig meine Klassenlehrerin ist - bereit, mir ihre Ausrüstung auszuleihen und mich zu trainieren, bis ich mit den andern mithalten kann. Das wird jedoch wohl noch eine ganze Weile dauern, fürchte ich, denn alle Mitglieder sind schon seit mehreren Jahren dabei und dementsprechend stark – ein guter Anreiz also, mich umso mehr anzustrengen.

Während des Trainings in den Winterferien hielt ich das erste Mal ein Shinai in der Hand. Es ist schon ziemlich cool, so ein Schwert heben zu dürfen und sich dabei wie ein Samurai zu fühlen – auch wenn meine Bewegungen noch Lichtjahre von „fliessend“ entfernt sind. ;) Mit zwei andern Mitgliedern des Clubs und mit Hilfe meiner Lehrerin begann ich also, mir allmählich die Grundlagen der Schwertkunst anzueignen. Das erste, was es zu lernen galt, war die richtige Schrittfolge beim Vorwärtsgehen. Klingt leicht, benötigt jedoch eine Menge Geduld und Konzentration, vor allem, wenn man dabei gleichzeitig noch ein Schwert schwingen muss. Anfangs stellte ich mich natürlich nicht gerade geschickt an – jeder fängt einmal klein an, was? – und ständig im Training nur Laufen zu üben war mit der Zeit auch sehr anstrengend. Doch nach und nach lernte ich mehr dazu, begann das Schwert genauer im Takt mit den Schritten zu heben und mich langsam aber sicher besser dabei zu fühlen.

Nach den Ferien hatte ich beinahe jeden Tag Training (auch am Wochenende) und gewöhnte mich schnell an meinen neuen Alltag, der sich nun insofern verändert hatte, dass ich abends viel später erst nach Hause kam. Weil es jedoch relativ mühsam war mit dem Bus um diese Zeit nach Hause zu fahren, entschied ich mich dazu an Tagen, an denen ich Training hatte, mit dem Fahrrad zur Schule zu gehen. Allein mit den Dingen, die ich dabei schon erlebt habe (ja, Linksverkehr ist tatsächlich verwirrend...) könnte ich einen ganzen Blogeintrag füllen – doch das schiebe ich mir mal auf später auf. Auf jeden Fall erlaubte mir das Beitreten in den Kendo-Club plötzlich Erfahrungen und Erlebnisse zu machen, die ich zuvor wahrscheinlich nie hätte machen können. Damit meine ich nicht nur das Training alleine, sondern all die Dinge, die damit einhergingen: Neue Freundschaften, eine engere Beziehung mit einer Klassenkameradin, die immer zur selben Zeit und am selben Ort wie ich Gymnastik-Klub hat, und die Möglichkeit, mit dem Fahrrad ganz andere Seiten von Sendai kennenzulernen. Schlussendlich hat mein Beitritt in den Klub mich auch meiner Klassenlehrerin näher gebracht, die nun eine wichtige Ansprechperson für mich geworden ist. Schüler-Lehrer-Beziehungen sind hier in Japan wirklich viel enger als in der Schweiz; das habe ich nun schon einige Male erfahren dürfen. Nochmals bestätigt wurde mir das letzten Donnerstag, als mir meine Lehrerin nach dem Training plötzlich ein brandneues Shinai in die Hand drückte. Nachdem ich sie etwas verdutzt angesehen hatte, begann sie zu lachen und meinte, das Schwert gehöre nun mir – eine Belohnung quasi für meine Anstrengungen.

Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Mein eigenes Shinai? Es dauerte einen Moment, bis ich begriffen hatte, was das bedeutete und mich mit tausend Verbeugungen bei meiner Lehrerin bedankte. Diese erklärte mir daraufhin, dass sie wolle, dass ich bis zum Sommer eine Kendo-Lizenz mache. „Aber ist das nicht viel zu schwierig?“, gab ich meine Bedenken dazu. Wieder lachte meine Lehrerin bloss. „Du schaffst das schon“, war alles, was sie sagte.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie unglaublich glücklich mich dieser Moment machte; zu wissen, dass meine Lehrerin an mich glaubt, obwohl ich im Augenblick nichts mehr als eine klägliche Anfängerin bin. Mein Shinai hat nun einen Sonderplatz neben meinem Futon bekommen und wird jeden Tag mit Stolz in die Turnhalle getragen. Schon seltsam: Vor dem Austauschjahr hätte ich mir nie erträumen lassen können, dass ich jemals überhaupt die Möglichkeit haben würde, eine Lizens in irgendeiner Sportart zu machen. Und doch bin ich nun hier und trainiere Kendo; nehme schmerzhafte Schläge mit dem Schwert und folterähnliche Dehnübungen ;) auf mich, um besser zu werden und mein Ziel zu erreichen. Auch wenn ich mich hier sicherlich nicht in eine Sportskanone verwandeln werde, werde ich auf jeden Fall versuchen mein Bestes zu geben und meine Lizens zu machen. Im Moment kann ich mir zwar noch nicht wirklich vorstellen, dass ich jemals gut genug sein werde für eine Lizenz – aber es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen, oder? :)

剣道 - Kendo

Wer wissen möchte, wie so ein Kendo-Wettkampf aussieht, kann sich unten das Video anschauen. Viel Spass!

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Kommentare: 1
  • #1

    Gropa (Sonntag, 02 Februar 2014 10:23)

    Hallo Evelyne, habe alle deine Einträge gelesen. Finde sehr spannend was du in Japan so alles erleben kannst. Weiterhin alles Gute!