10 Dinge, die ich mir in Japan angewöhnt habe

Sich an eine komplett andere Kultur anzupassen ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen stattfindet, sondern mit kleinen und langsamen Schritten vorwärtsgeht. Manchmal bewusst, meistens aber völlig instinktiv, passt man sich über die Monate in einem Austauschjahr immer mehr und mehr der Kultur des eigenen Gastlandes an: Man nimmt vielleicht die (anfangs seltsam erscheinend) Angewohnheiten der Einheimischen an, beginnt in einer anderen Sprache fliessend zu werden und gewöhnt sich auch den einen oder andern merkwürdigen Tick an.

Ich bin nun schon beinahe ein halbes Jahr in Japan und kürzlich ist mir erst richtig aufgefallen, wie sehr mich das bereits verändert hat. Natürlich bin ich in dieser Zeit nicht ein völlig anderer Mensch geworden. Vielmehr sind es diese kleinen Dinge, die sich bei mir verändert haben; Angewohnheiten und Denkweisen meiner eigenen Kultur, die ich vorhin immer für selbstverständlich gehalten habe und über die ich mir eigentlich eher selten Gedanken gemacht habe.

Nachfolgend also meine Liste der 10 Dinge, die sich bei mir verändert oder die ich mir angewöhnt habe, seit ich in Japan bin:

 

  1. Ich verbeuge mich, um jemanden zu begrüssen.

    Das ist wahrscheinlich eine der offensichtlichsten Veränderungen, denn das Verbeugen gehört genauso zur japanischen Kultur dazu wie das Küssen zu Frankreich. Ich muss zugeben, dass es sich am Anfang doch etwas seltsam anfühlte, sich vor andern Menschen zu verbeugen. Verbeugen ist auch nicht gleich Verbeugen; es gibt viele verschiedene Arten, sich zu verbeugen, sei es nun zur Begrüssung, um seinen Respekt auszudrücken oder um sich zu entschuldigen. Inzwischen aber habe ich mir das leichte Senken des Kopfes, wenn ich morgens meine Lehrer in der Schule begrüsse, schon so angewöhnt, dass ich kaum mehr darüber nachdenken muss.

  2. Wenn ich mit jemandem rede, dann nicke ich ununterbrochen und werfe ständig „Ah“s und „Oh“s in die Konversation.

    Das ist auch so etwas, das mir anfangs sehr seltsam vorkam: Wenn die Japaner mit jemandem sprechen, dann nicken sie ständig oder sagen nach jedem Satz „Ja“, „Mhm“ oder „Ah“, um dem Gegenüber zu zeigen, dass sie interessiert zuhören. Nun aber finde ich es völlig normal, dass mir ständig reingesprochen wird, wenn ich etwas erzähle und es kommt mir schon beinahe merkwürdig vor, wenn ich mit meiner Familie skype und alle still sind, wenn ich spreche...

  3. Wenn ich Englisch spreche, dann ersetzte ich manchmal einige Wörter durch japanische Ausdrücke, weil ich mich nicht mehr an die richtigen Vokabeln erinnern kann.

    Ja, das passiert mir tatsächlich erschreckend oft. Ich hätte nie gedacht, dass meine Englischfertigkeiten so unter dem Japanisch leiden würden oder dass es mir auf einmal leichter fallen würde, mich in Japanisch statt Englisch auszudrücken. Allgemein sind meine Sprachkenntnisse nicht mehr das, was sie noch vor dem Austauschjahr waren: In Französisch kann ich nicht einmal mehr einen normalen Satz zu Stande bringen, ohne ständig wieder ins Japanische abzurutschen – und dabei bin ich ja gerade mal ein halbes Jahr hier...

  4. Ich schlürfe, wenn ich Nudelsuppe esse.

    Schlürfen ist tatsächlich so eine Kunst für sich: Man tut es nicht nur, um dem Koch zu zeigen, dass man die Mahlzeit geniesst, sondern vor allem, um sich beim Essen der heissen Nudeln nicht die Zunge zu verbrennen. Das Schlürfen allgemein ist nur bei Nudelnsuppen erlaubt, dort jedoch beinahe ein Muss, weshalb auch ich mir allmählich diese wohl eher gewöhnungsbedürftige Tischsitte einverleiht habe. Ich hoffe nur, dass ich sie mir in der Schweiz dann auch wieder abgewöhnen kann... ;)

  5. Ich lese Bücher falsch herum.

    Vielleicht wissen einige von euch, dass in Japan oft von oben nach unten geschrieben wird und dann von rechts nach links gelesen werden. Das heisst, japanische Bücher beginnen nach unserer Vorstellung „von hinten“ und werden spiegelverkehrt umgeblättert. Als ich letztens in einem Bücherladen nahe des Bahnhofs einige englische Bücher gefunden habe, habe ich doch tatsächlich begonnen, diese „von hinten“ aufzuschlagen – wohl ein Zeichen dafür, dass ich hier eindeutig viel zu viele Mangas lese...

  6. Wenn ich wiedermal mitten in der Nacht wegen eines Erdbebens aufwache, dann verdrehe ich meist nur die Augen und schlafe weiter.

    Auch wenn Erdbeben mir anfangs fast täglich Herzstillstände versetzt haben, habe ich mich nun endlich nach Monaten des Fürchtens an sie gewöhnt. Seit Kurzem kriege ich keine Panikattacken ;) mehr, wenn das ganze Haus wieder einmal zu zittern beginnt und manchmal wache ich nicht einmal mehr in der Nacht auf, wenn es ein Erdbeben gibt. Ob das nun gut ist oder nicht, das sei mal so da hingestellt – aber auf jeden Fall beweist es, dass man sich sogar an die furchteinflössendsten Dinge gewöhnen kann.

  7. Ich könnte meinen Futon selbst im Schlaf noch zusammenfalten.

    Dieser Punkt erklärt sich eigentlich ziemlich von selbst: Wenn man seit bald einem halben Jahr jeden Morgen seinen Futon zusammenfaltet, wird das irgendwann wohl einfach zur Routine. Auch wenn ich es immer noch wahnsinnig nicht gerne tue. ;)

  8. Ich tendiere zur völligen Übertreibung, wenn mich etwas schockt oder überrascht.

    Bevor ich nach Japan gekommen bin, dachte ich immer, dass Japaner wohl eher zurückhaltend sind, was das Zeigen ihrer eigenen Gefühle angeht. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Grad – doch wenn es darum geht, Interesse zu zeigen, dann gibt es plötzlich keine Grenzen mehr. Wenn Japaner (also vor allem die Jugendlichen) etwas überrascht, dann setzen sie nicht nur einen überraschten Gesichtsausdruck auf, sondern betonen das Ganze noch mit einem lauten „Eeeehh?!“. Sogar beim Fernsehen wird ständig „Eee“ oder „Oooh“ gesagt, was mich zwar anfangs oftmals sehr verirrt hat, jetzt aber wie so vieles zur Normalität geworden ist.

  9. Wenn ich lache, halte ich mir die Hand vor den Mund.

    Ich weiss ehrlich gesagt nicht, weshalb und wie ich mir das angewöhnt habe, aber in letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass ich mir tatsächlich beim Lachen die Hand vor den Mund halte. Auch das ist hier nichts Aussergewöhnliches; viele Japanerinnen tun das, um damit, wenn sie lachen, ihre schräge Zahnstellung zu verbergen. Schon interessant, dass ich mir sogar solche Dinge instinktiv irgendwie einverleiht habe...

  10. Ich schaffe es problemlos, 20 Minuten oder mehr auf den Knien zu sitzen ohne dabei grosse Schmerzen zu erleiden.

    Ich denke, daran sind wohl vor allem zwei Dinge Schuld: Mein Kendo-Club und die speziellen Lektionen in der Schule, in denen wir immer kniend meditieren müssen. Inzwischen finde ich das Knien auch gar nicht mehr so unbequem wie am Anfang, auch wenn ich natürlich noch lange nicht die Ausdauer zum stundenlangen Sitzen habe wie die Japaner. Aber es ist immerhin schonmal ein Anfang, oder? :)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0