Japanischlektionen, Schweigeminuten und Kendo-Tests

Wenn ich diese vergangene Woche in einem einzigen Wort beschreiben müsste, dann wäre es wahrscheinlich "intensiv". Nicht nur wegen chronischem Schlafmangel oder täglichem Kendo-Training, sondern vor allem auf der Gefühlsebene. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele emotionale Höhepunkte und Tiefflüge in so kurzer Zeit erlebt, auch wenn intensive Gefühle natürlich auch zu einem Austauschjahr dazu gehören.

Die Woche begann schon irgendwie anders als sonst. Weil die meisten Klassen morgens spezielle Lektionen hatten, hiess es für uns Austauschschüler wieder einmal: Sonderprogramm Japanisch. An dieser Stelle muss ich wohl erwähnen, dass wir in diesen Lektionen eigentlich nie wirklich Japanisch lernen. Das grösste Problem ist wahrscheinlich, dass unsere Japanisch-Niveaus immer noch Welten voneinander entfernt sind; mal abgesehen davon, dass eine der Austauschschülerinnen selbst nach 7 Monaten immer noch nur in Englisch spricht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...

Auf jeden Fall bedeuten Japanisch-Lektionen für uns meistens einfach eines: vieeeel Zeit. Zeit, um mit unseren Lehrern zu reden, Zeit, um unsere Erfahrungen etwas auszutauschen und Zeit, eben einfach mal nichts zu tun. Ich bin selbst überrascht, wie sehr sich meine Beziehung zu meinen beiden Japanisch-Lehrern inzwischen vertieft hat, ja schon fast auf einem freundschaftlichen Niveau angekommen ist. Würde ich mit meinen Lehrern in der Schweiz so umgehen wie hier in Japan, hätte ich mir wahrscheinlich schon einige verwirrte Blicke eingefangen. ;) Ich mag es wirklich, wie nahe sich Lehrer und Schüler in Japan (oder jedenfalls in meiner Schule) sind, auch wenn das natürlich auch bedeutet, dass die Schüler unter noch grösserem Druck stehen, weil sie ihre Lehrer ja nicht enttäuschen wollen.

An diesem Vormittag sassen wir also zu fünft (drei Austauschschüler und meine beiden Lehrer) in der Bibliothek, als mein Lehrer plötzlich auf die Idee kam, die alten Jahresbücher meiner Schule hervorzukramen. Für uns Austauschschüler war es ziemlich witzig, die alten Bilder unserer jetztigen Lehrer zu sehen und wie sehr sie sich verändert haben - meine Klassenlehrerin ging sogar zur selben Schule hier. Die Stimmung jedoch wurde plötzlich ziemlich bedrückt, als wir über das Foto eines Lehrers stolperten, der vor 3 Jahren vom Tsunami getötet wurde. Er sei auf dem Weg zur Schule gewesen, als er von der Flutwelle überrascht worden sei, erklärten mir dann meine Lehrer. Es machte mich traurig, das zu hören, und irgendwie verpuffte damit meine ganze Euphorie der letzten Stunden in einem Schlag. Das Erdbeben ist hier in Sendai nach wie vor unvergessen in den Köpfen der Menschen und man sieht auch überall noch Spuren von dem, was die Katastrophe an jenem Tag hier angerichtet hat. Ich muss zugeben, dass mich das schon enorm belastet - einfach weil ich (im Gegensatz dazu, als ich noch in der Schweiz war) die Menschen hier nun kenne und weiss, was ihnen widerfahren ist. Die Geschichte mit dem Lehrer von meiner Schule ist auch nur eine von hunderten, die ich schon gehört habe - und das macht das Ganze nicht gerade einfacher zu begreifen.

Der Dienstag war dann schliesslich der 3. Jahrestag der Katastrophe und ich fuhr gemeinsam mit einer Freundin ans Meer, um dort an der Schweigeminute teilzunehmen. Ihr könnt euch wahrscheinlich gar nicht vorstellen, was für ein unglaubliches Gefühl es ist, mit tausenden von Menschen gleichzeitig zu schweigen, eine Minute lang dieselben Gedanken zu teilen und für eine bessere Zukunft zu hoffen. Eine ganze Nation ist in dieser Minute still gestanden; egal wer, egal wo. Das war schon... intensiv. Traurig und doch faszinierend zugleich. Gänsehaut pur.

Die nächsten Tage verliefen eher ruhig. Für mich waren sie ziemlich deprimierend; weinende Menschen im Fernsehen, überall Bilder und Videos, wie der Tsunami ganze Dörfer auslöschte, und Geschichten von Menschen, die an jenem Tag gestorben sind. Doch diese Tage zeigten mir auch, wie die Leute hier mit dieser unglaublichen Katastrophe umgehen und dass sie gemeinsam an einer neuen Zukunft arbeiten, auch wenn der Weg bis dahin sicherlich noch lang ist. 

Am Freitag hatte sich bereits der Alltag wieder eingependelt und alles war wieder so, wie es immer war - zumindest fast. Meine Lehrerin eröffnete mir nämlich an diesem Tag, dass ich Morgen einen Kendo-Test ablegen würde. Ich hatte zwar gewusst, dass ich irgendwann einen Test machen würde, aber das kam dann doch schon ziemlich überraschend. Vor allem, weil ich keine Zeit mehr hatte noch grossartig dafür zu üben, geschweige denn mich irgendwie mental darauf vorzubereiten. Als mich meine Lehrerin am nächsten Tag schliesslich abholte, war ich so nervös, dass ich während der ganzen Fahrt kein Wort herausbrachte. Der Test verlief dann auch dementsprechend peinlich: Ich machte so gut wie alles falsch, was man bei Kendo überhaupt falsch machen kann. Weder meine Körperhaltung noch meine Schritte stimmten in irgendeiner Weise mit dem überein, was ich in den letzten Monaten gelernt hatte. 

Als mir meine Lehrerin ein paar Stunden später das Resultat verkünden wollte, hätte ich mich am liebsten in eine Ecke zum Schämen verkrochen, weil ich natürlich davon ausging, kläglich versagt zu haben.

Das war allerdings nicht der Fall.

Fragt mich nicht wie, fragt mich nicht warum, aber: Ich habe bestanden.

Nun besitzte ich also offiziell ein Zertifikat als Anwenderin einer uralten japanischen Schwertkunst, was aber ehrlich gesagt nur halb so cool ist wie es sich jetzt anhört. Ein paar schöne Momente der Euphorie bescherte es mir aber auf jeden Fall. Und es motiviert mich, von nun an noch viel mehr zu trainieren und mein Bestes zu geben. :)

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Kommentare: 2
  • #1

    Hans Aschwanden (Sonntag, 16 März 2014 07:11)

    Evelyne, herzliche Gratulation zum Bestehen der Kendo Prüfung. Ein lieber Gruss von Zuhause Pa

  • #2

    evelynegoestojapan (Sonntag, 16 März 2014 23:37)

    Merci villmal. :)