Leben in Sendai

Vor dem Beginn meines Austauschjahres - zur Zeit, als ich noch keine Platzierung hatte - wünschte ich mir immer, dass ich in Japan weit weg von allen Grossstädten irgendwo auf dem Land leben könnte; am Besten noch möglichst im Norden, weil ich die Hitze nicht mag. Ich stellte mir immer vor, wie ich mit meiner Gastfamilie in einem traditionell japanischen Haus leben würde, in einem winzig kleinen Dorf, umgeben von Reisfeldern, wo jeder jeden kannte. Natürlich wusste ich, dass das nur Träumereien waren - aber das die Realität, nämlich meine Platzierung in einer der grössten Städte Japans, so anders aussehen würde, das hätte ich nun doch nicht gedacht.

Ich bin froh, dass ich nicht in Tokio gelandet bin (diese Stadt wäre einem Landei wie mir wahrscheinlich schon eine Nummer zu gross gewesen!), aber Sendai kann man ja mit etwas mehr als einer Million Einwohner nun auch nicht gerade als "klein" bezeichnen. Wobei das, wie ich finde, wohl auch Ansichtssache ist. Habe ich mir Sendai vor meinem Austauschjahr als gigantische Grossstadt mit viel Lärm und unzähligen Hochhäusern vorgestellt, so kommt es mir inzwischen doch vor, als sei Sendai eigentlich gar nicht so gross. Natürlich auch nicht gerade klein, aber genau richtig für meine Bedürfnisse, mit allem, was man eben so braucht. Darüber hinaus ist Sendai landschaftlich auch ziemlich vielfältig: es gibt hier sowohl schneebedeckte Berge als auch das Meer - und in knapp 30 Minuten ist man mit dem Auto bereits wieder auf dem Land.

Inzwischen kann ich schon sagen, dass ich das Leben in der Stadt in den letzten Monaten enorm zu schätzen gelernt habe. Der wohl grösste Vorteil gegenüber meinem kleinen Dorf in der Schweiz ist wahrscheinlich die Nähe hier - in gut 20 Minuten bin ich mit dem Bus überall wo ich sein möchte, ob nun Kino, Einkaufszentrum oder einfach Schule. Das erlaubt es einem auch viel spontaner zu sein und nicht immer alles im Voraus durchplanen zu müssen. Ausserdem mag ich es persönlich, dass immer irgendetwas los ist auf den Strassen - und sei es nur eine Demonstration gegen Atomenergie.

Es gibt aber natürlich auch Dinge, die mir hier fehlen. Das erste, was mir aufgefallen ist, als ich die erste Nacht in Sendai verbracht habe: Am Himmel scheinen keine Sterne. Die Lichter der Stadt sind viel zu hell, um irgendetwas zu erkennen können. Nur der Mond scheint ab und zu, auch wenn das natürlich nur ein geringer Trost ist. Auch die Berge kann ich von meinem Haus aus nicht sehen; alles, was ich erkennen kann, wenn ich zum Fenster hinausschaue, sind graue Häuserreihen. Dazu kommt noch der Lärm des ständigen Sirenengeheule, das mir anfangs einige schlaflose Nächte bereitet hatte, und zu guter letzt noch die Wolken aus Abgasen, die ab und an mal aus China vorbeiziehen.

Allem in allem denke ich aber doch, dass Sendai ein ziemlich angenehmer Ort zum Leben ist und für eine Grossstadt doch sehr viele Grünflächen und schöne Plätze besitzt. Nachfolgend also die Top 3 meiner persönlichen Lieblingsorte in Sendai:

Chris-Road (クリスロード)

Chris-Road ist die Shoppingstrasse in Sendai und der Ort des Geschehens für praktisch alle High-School Schüler. Wenn ich mich mit Freunden treffe, dann geht es fast immer sofort hierhin. Man kann hier nämlich wirklich alles finden: von Kleidern bis hin zu Pachinkos (jap. Kasinos) und Karaoke-Bars. 

AER-Building (アエルビル)

Das AER-Gebäude (145.5 Meter) ist das zweitgrösste Hochhaus in Sendai. Der Buchladen in der untersten Etage besitzt eine Menge englischsprachige Bücher und Material für Ausländer, um Japanisch zu lernen. Das wirklich Coole an diesem Hochhaus ist jedoch, dass man mit dem Fahrstuhl (gratis) bis ins oberste Stockwerk fahren kann und von dort eine gigantische Aussicht über ganz Sendai geniesst.

Matsushima (松島)

Matsushima ist eigentlich nicht mehr Sendai, wird aber zu der selben Region gezählt und ist nur knapp 15 Minuten mit dem Zug von der Stadt entfernt. Die Inseln von Matsushima zählen zu den schönsten Landschaften ganz Japans - und das kann ich auf alle Fälle bestätigen. :)

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Kommentare: 1
  • #1

    Aylin (Dienstag, 25 März 2014 08:41)

    In Niigata gibt es auch ein Gebaeude, wo man kostenlos nach oben kann! :)
    Ansonsten stimme ich dir in allem zu. Niigata ist auch nicht gigantisch, aber gerade richtig, und alles ist nah.