Gastfamilienwechsel (oder so)

Für diejenige, die beim Lesen des Titels etwas erschrocken sind, erst einmal eine Entwarnung: Nein, ich habe meine Gastfamilie nicht gewechselt. Ich fühle mich nach wie vor pudelwohl hier und ein Wechsel wird es - falls nicht noch etwas dazwischen kommt - bis zu meiner Abreise bestimmt nicht geben. ;)

"Warum also dieser Titel?", fragt ihr euch jetzt vielleicht. Nun, in einem gewissen Sinne habe ich dieses Wochenende meine Gastfamilie doch irgendwie gewechselt, wenn auch nur für ein paar Tage. Man könnte auch sagen: Ich habe Ferien bei einer anderen Gastfamilie gemacht. Das klingt jetzt etwas verwirrend, ist aber eigentlich ziemlich einfach zu verstehen. Vor ein paar Wochen hat meine Austauschorganisation bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich gegen Ende März für ein paar Tage zu einer anderen Familie ziehen könne. Zuerst war ich natürlich überrascht, aber wie sich herausstellte, wollte diese Familie nächstes Jahr unbedingt eine Gastfamilie für einen Austauschschüler werden. Allerdings, so erklärte mir meine Organisation, hatte die Eltern doch einige Zweifel und Sorgen, was die ganze Sache anging. So entschied man sich kurzerhand, eine Austauschschülerin  (also mich) auf Zeit aufzunehmen, um der Familie damit einen Einblick in das Leben einer Gastfamilie zu geben. Weil ich das eine gute Sache fand, willigte ich sofort ein - die Chance, neue Leute mit neuen Ansichten und einem völlig anderen Lebensstil kennenzulernen, konnte ich mir schliesslich nicht einfach entgehen lassen.

Letzten Freitag war es also soweit: Ich packte meine Koffer und wurde am frühen Morgen von der Präsidentin meiner Organisation in Miyagi abgeholt. Wer meine vorherigen Blogeinträge gelesen hat, erinnert sich vielleicht, dass ich auch schon einmal bei ihr und ihrer Familie übernachtet hat. Seitdem pflege ich ein ziemlich gutes Verhältnis zu ihr und schätze es enorm, wenn ich mich mit ihr über Gott und die Welt unterhalten kann. Dafür hatten wir an diesem Tag auch mehr als genug Zeit, denn das Haus meiner vorübergehenden Gastfamilie liegt knapp eine gute Stunde von Sendai entfernt.

"Bist du nicht aufgeregt?", wurde ich schliesslich kurz vor unserer Ankunft dort gefragt.

"Nicht wirklich", war meine Antwort. Das ist so eine der Fähigkeiten, die ich mir in den letzten 7 Monaten angeeignet habe: Egal was passiert, irgendwie schaffe ich es immer, ruhig zu bleiben. Nimm die Dinge jetzt einfach so hin, wie sie eben kommen - ändern kann man sie ja sowieso nicht - und versuche das Beste herauszuholen: Das ist so etwas, das ich hier gelernt habe, neben tausenden von andern Sachen noch. :)

Als wir ankamen, wurde ich erst einmal von einer sichtlich aufgeregten aber unglaublich herzlichen Gastmutter und einer 6-jährigen Gastschwester begrüsst. Die Begrüssung verlief noch etwas holprig, doch spätestens als der ältere Gastbruder (13) von der Schule zurückkehrte und wir gemeinsam im nächsten Shopping-Center Purikura (=jap. Fotokasten) machten, war das Eis gebrochen. Gegen Abend kehrte dann der Gastvater noch zurück und durchbohrte mich erst einmal mit Fragen über die Schweiz und mein Leben dort, wie es die Japaner so gerne mit Ausländern machen. ;)

Der erste Abend war noch recht ungewohnt und wirklich wohl fühlte ich mich noch nicht, aber ich schlief trotzdem überraschend gut. Am nächsten Tag ging es mit der Gastmutter und den beiden Gastgeschwistern zu einem nahe gelegenen Tempel, wo bereits die ersten Kirschblüten blühten. Dort kaufte ich mir auch ein Omamori  (お守り), also ein japanischer Talisman, der mir hoffentlich für die verbleibenden 3 Monate hier Glück bringen wird. ;)

Da mein Gastbruder später auch mal ein Austauschjahr in Amerika machen will, verbrachte ich den Nachmittag schliesslich damit, ihm englische Wörter beizubringen und ihn zum Sprechen zu ermutigen. Ich hoffe wirklich, dass er sich eines Tages seinen Traum vom Austauschjahr erfüllen kann, genauso wie ich das getan habe. Für mich ist dieses Jahr nämlich eines der besten Dinge, die mir bis jetzt je passiert sind - und das meine ich im vollen Ernst. :)

Der Sonntag war dann quasi der "Höhepunkt" meiner Zeit dort: Mit der ganzen Familie ging es ins nahe gelegene Meeresmuseum, wo wir von riesigen Rochen bis hin zu giftigen Quallen praktisch alles beobachten konnten, was sich so im Meer um Sendai tummelt. Das (für mich) wirklich Witzige an diesem Museum war jedoch die Tatsache, dass man sich dort seine eigenen Muscheln fischen konnte - nur um sie dann im Restaurant nebenan (noch lebend!) auf den Grill zu werfen und zu essen. Das ist die japanische Definition von "frisch": Für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber na ja... lecker waren die Muscheln auf jeden Fall.

Kaum Zuhause, ging es auch schon wieder weg, denn meine Gastfamilie hatte mich zu einem Restaurantbesuch eingeladen. Auf dem Speiseplan stand Yakiniku, eine Art japanisches Barbecue, bei dem natürlich auch die Spezialität von Sendai, nämlich gebratene Rinderzungen (牛たん; Gyuutan), nicht fehlen durfte. So gesehen war der Sonntag auch ein "kulinarischer Höhepunkt", auch wenn ich sowohl Muscheln als auch Gyuutan schon vorher geniessen durfte.

Während dem Essen diskutierte ich mit meinen Gasteltern über alles Mögliche - vom zweiten Weltkrieg bis hin zur politischen Situation in Japan war so ziemlich alles dabei, was man sich überhaupt vorstellen konnte. Ein wenig stolz war ich zugegebenermassen schon, dass ich mich jetzt auf Japanisch über solche Dinge unterhalten kann und es motiviert mich auf jeden Fall, bis zum Schluss mein Bestes zu geben. :)

Am Montag stand schliesslich bereits der letzte Tag vor der Tür. Die Zeit verging viel schneller, als ich es erwartet hätte, und ein wenig wehmütig machte mich der Abschied schon. Doch es ist glücklicherweise kein Abschied für immer: Die Familie plant im Moment, dass ich vor meiner Abreise nochmals zu ihnen übernachten komme kann (vorausgesetzt, meine Gastfamilie hier in Sendai ist damit einverstanden). Und vielleicht kommen sie mich eines Tages sogar in der Schweiz besuchen, wer weiss... Ich bin auf jeden Fall glücklich, dass ich hier in Japan wieder neue Freundschaften schliessen konnte; gemeinsam mit Erinnerungen, die mir sicher ein Leben lang bleiben werden. Solche Dinge machen all die schwierigen Momente, die es in einem Austauschjahr eben auch gibt, tausendmal wett - und sie machen mich von Tag zu Tag unsicherer, ob ich überhaupt je wieder zurückkehren will... ;)

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