Der Anfang vom Ende

1209600 Sekunden.

20160 Minuten.

336 Stunden.

14 Tage.

 

Soviel Zeit bleibt mir noch, bevor mein Jahr hier in Japan zu Ende geht und ich nach 10 Monaten wieder in die Schweiz zurückkehren werde. 14 Tage mit all den Menschen, die mir in dieser Zeit so sehr ans Herz gewachsen sind; 2 Wochen, in denen ich noch Japanisch sprechen, Sushi essen und Karaoke singen gehen kann. 

2 Wochen.

"Nur noch 2 Wochen", war mein erster Gedanke, als ich gestern Abend realisierte, wie wenig Zeit mir eigentlich noch bleibt. "Immerhin noch 2 Wochen", wie es mein Gastvater dann so passend ausdrückte, um mich aufzumuntern. Und nach ein wenig Nachdenken wurde mir klar, dass er Recht hat. 2 Wochen sind immer noch mehr als gar nichts; und ich werde versuchen, diese 2 Wochen unvergesslich zu machen. Viel steht im Moment nicht mehr auf dem Programm; im Vergleich zu den letzten paar Wochen werden diese 14 Tage wohl überraschend entspannt ablaufen. Das kommt mir auch gerade recht, so bleibt mir immerhin noch genügend Zeit zum Souvenir-Kaufen und Freunde treffen. Die Schule werde ich ab dem 10. Juli beenden und zwei Tage später schliesslich Sendai verlassen. 

Wenn ich daran denke Japan zu verlassen, drängen sich in mir gemischte Gefühle auf. Auf der einen Seite ist das Aufregung und unglaubliche Vorfreude. Ich kann es kaum mehr erwarten, endlich wieder meine Familie und Freunde in die Arme schliessen zu können; die Menschen, von denen ich ein ganzes Jahr lang beinahe 10'ooo Kilometer weit entfernt war. Allein der Gedanke daran macht mich ganz hibbelig und in solchen Momenten kann ich es kaum mehr erwarten, bis ich endlich in Zürich am Flughafen stehe.

Auf der anderen Seite ist da aber auch Angst und Traurigkeit, die im puren Gegenteil zu meiner Vorfreude steht. Es schmerzt, daran denken zu müssen, dass all die Dinge, welche in diesem Jahr so selbstverständlich geworden sind, in nicht einmal mehr 2 Wochen verschwinden werden. Meine Gastfamilie, meine Freunde, all die Leute, denen ich es zu verdanken habe, dass ich es trotz aller Höhen und Tiefen durch dieses Jahr geschafft habe. Aber es sind nicht nur all die wundervollen Menschen hier, die ich vermissen werde. Es sind auch viele kleine, scheinbar unwichtige Dinge, die bereits so sehr zu meinem Alltag gehören, dass ein Leben ohne sie schwer vorstellbar ist: Die nervtötende Musik, wenn man die Shoppingstrasse in Sendai hinunterschlendert; das morgendliche "Ohayou Gozaimasu" des Torwächters an meiner Schule; der Geruch von nassen Reisfeldern, wenn ich mit meinem Fahrrad auf dem Weg nach Hause bin; das laute Schnarchen eines Freundes an meiner Schule, wenn dieser wiedermal in der Bibliothek eingeschlafen ist... Was ich aber wohl am meisten vermissen werde, ist das Leben als Austauschschüler - ein Leben, vollgestopft mit vielen und manchmal scheinbar unlösbaren Herausforderungen; ein Leben, das geprägt ist durch Begegnungen mit allerlei Menschen aus allerlei Kulturen; Begegnungen, die ich Zuhause in der Schweiz wohl nie hätte machen können. Mein Leben hier in Japan und mein Leben wie es vor dem Austauschjahr war - das sind zwei Dinge, die ich schwer vergleichen kann. Natürlich wird es schön sein, wieder in meine gemütliche Alltagswelt in der Schweiz zurückzukehren, aber ich weiss jetzt schon, dass es nicht lange dauern wird, bis das Fernweh mich wieder packt... ;)

Ein Austauschjahr ist eine Chance, etwas, das man nur ein einziges Mal erleben kann, und genau das macht es so besonders, finde ich.

Trotzdem tut es weh, Abschied zu nehmen. Man könnte glauben, dass das Ende eines Austauschjahres ähnlich ist wie die Zeit vor dem Anfang des Jahres - doch die Gefühle könnten verschiedener nicht sein. Als ich die Schweiz damals verliess, wusste ich ja, dass ich wieder zurückkommen würde. Es fiel mir natürlich trotzdem schwer, meine Familie und Freunde zurückzulassen - aber die Tatsache, dass wir uns in einem Jahr wiedersehen würde, machte alles halb so schlimm. Meine Rückkehr in die Schweiz ist jedoch anders. Ich weiss nicht, wann und ob ich meine Freunde hier je wiedersehen kann. Ich habe Angst, dass meine Beziehungen mit meiner Gastfamilie und mit den andern Austauschschülern, die ich hier kennengelernt habe, die Distanz nicht überleben werde. Ich weiss, dass die Dinge nie wieder - nicht einmal annähernd! - so sein werden wie sie jetzt sind, und das macht mich traurig und lässt mich daran zweifeln, ob ich überhaupt wirklich zurück will. Nicht, dass ich die Wahl hätte. Ich wusste von Anfang des Jahres schon, dass ich irgendwann zurückkehren würde - und doch hätte mir nie erträumen lassen, dass der Abschied so schnell kommen würde.

Ein Jahr vergeht schnell, aber glaubt mir: Ein Austauschjahr vergeht noch viel schneller. Ich erinnere mich noch genau, wie ich vor knapp zehn Monaten mit meiner Familie am Flughafen stand und mich unter Tränen verabschiedete - und nun sitze ich bereits hier und tippe an einem meiner wohl letzten Blogeinträge.

Ich habe es geschafft. Ich war tatsächlich ein Jahr lang in Japan und habe mir meinen Traum erfüllt: Ich spreche nun Japanisch, habe eine wundervolle Gastfamilie gefunden, bin mit echten japanischen Jugendlichen Karaoke singen gegangen - ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte, und noch viel mehr. Sicher war es nicht immer einfach - wann ist es das schon? - aber allein die Tatsache, dass ich es wirklich geschafft habe, lässt auch die schmerzhaftesten Dinge vergessen. Mir ist klar, dass es wahrscheinlich auch von hier an nicht einfacher werden wird, aber ich bin bereit für neue Herausforderungen. :)

Der Countdown läuft...

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Kommentare: 1
  • #1

    Jessica (Freitag, 04 Juli 2014 09:32)

    Willkommen zurück in der Schweiz! Deinen Blog zu lesen ist wirklich sehr interessant! :)